Eine leibhaftige masochistische Dichterin

Und in unseren Tagen ist unter dem Pseudonym “Dolorosa“ eine leibhaftige masochistische Dichterin hervorgetreten, deren Buch 1) als ein bemerkenswertes, kulturgeschichtliches Dokument betrachtet werden kann. Für den Arzt und Anthropologen haben diese offenbar mit dem Herzen geschriebenen Verse und in der Empfindung erlebten Phantasien insofern ein grosses psychologisches Interesse, als darin unsere oben dargelegte Ansicht, dass die rote Farbe in der Phantasie des Sadisten und Masochisten eine hervorragende aetiologische Rolle spiele, eine Bestätigung findet, wie dies auch der Recensent der Gedichte Dolorosa’s in der „Breslauer Zeitung“ vom 26. Juli 1902 erkannt hat, indem er bemerkt: „Ihre Phantasie ist blutig. Sie wendet mit Vorliebe die rote Farbe des Blutes an. Ihr Mund ist „sündhaft rotglühend“, ihre „Sünden sind rot wie roter Mohn“. Sehr bemerkenswert ist es, dass Dolorosa die „rote Grausamkeit“ und die „Nacht voll süsser Leiden“ nicht nur über sich verhängen will, sondern auch über ihre männlichen Partner im Liebesgenusse d. h. dass sie sowohl passive als auch aktive Algolagnistin ist, und ihre Leidenschaften, die „nach Blut und Mord und Grauen schreien“, auch durch sadistische Handlungen befriedigt werden (Vgl. das Gedicht „Mein Erlöser“, S. 30-31).

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Das Beispiel von „Dolorosa“ lehrte schon, dass es, wenn auch sehr viel seltener als dies bei Männern vorkommt, doch typische „Masochistinnen“ giebt, d. h. Weiber, die in der Demütigung, Züchtigung und Schmerzempfindung einen sexuellen Genuss finden.

1) Dolorosa [[Confirmo te chrysmate|“Confirmo te chrysmate“]], Berlin 1902.

Iwan Bloch, Beiträge zur Aetiologie der Psychopathia sexualis. Zweiter Teil, Dresden 1903, S. 180 und 183. Online