Das zeigt sich vor Allem in dem Gedichtband: Confirmo te chrysmate von [[Maria Eichhorn (Dolorosa)|Dolorosa]], einer Frau, die zuerst von der berliner Literatengesellschaft der „Kommenden“ entdeckt wurde. Aber sie ist keine „Kommende“: sie ist eine Vertreterin der äußersten geistigen und seelischen Decadence, der lebende Beweis dafür, wie gefährlich Freiheit für Kranke ist. Nichts spricht deutlicher für das durchaus Krampfhafte im Wefen dieser Dolorosa als die Verquickung von Lüsternheit und Frömmigkeit in ihren Dichtungen. Es ist eine alte Erfahrung, daß unbefriedigte Frauen in der Mystik Ersatz suchen für das ihnen Fehlende. Ich erinnere nur an Christine von Schweden, Anna Marie Schurmann und so manch Andere. Auf der einen Seite kommt ihnen der Katholizismus mit feiner klugen Berücksichtigung der Bedürfnisse der Sinne, auf der-anderen der Spiritis[…] und alle seine Vorgänger entgegen. Dolorosa berauscht sich förmlich an den Mysterien der Kirche. Sie schwelgt in Weihrauchdüften, Orgelklängen, Sündenbeichten und Dornenkronen. Und von hier aus steigert sie sich in ihrer hysterischen Phantasie bis zum Blut- und Schmerzensrausch. So sagt sie im „Jardin des supplices“ (hier bie deutliche Spur des französischen Vorbildes):
… Du entfachteft die fchlummernden Brände In mir zur efitatifchen Inbrunſt der Liebe; Laß mich küſſen, mein Yürft, Deine graufamen Hänbe Fäür das jubelnde Glück Deiner PBeitichenhiebe …. Und an einer anderen Stelle: Und als ih mid in feinem Griffe wand Und ftöhnte unter feinen Peitſchenhieben, Da bat mich jetne ſchöne, feite Hand , Mit einem graufam.jüßen Lieb beichrieben; Das ſchluchzt und fingt in mir feit jener Beit, Das glüht in meinen blutgen Wundenmalen, Das Hohelied ber rothen Grauſamkeit, Das Hohelied der Schmerzen und ber Dualen.
Aus: Lily Braun, „Die Lieder der neuen Frau“, in: Die Zukunft, S. 498-99. Online